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G-CSF und GM-CSF |
(pharma-kritik Jahrgang 19, Nr.3)
Diese Nummer wurde am 14.
November 1997 redaktionell abgeschlossen.
G-CSF (Filgrastim, Lenograstim) und GM-CSF (Molgramostim)
Leukozyten, Erythrozyten und Thrombozyten entwickeln sich über verschiedene
Zelllinien aus den pluripotenten Stammzellen des Knochenmarks. Die Proliferation
und die Differenzierung zu Vorläuferzellen und zu voll funktionsfähigen
Blutzellen werden durch verschiedene Peptidhormone gesteuert. Diese myeloischen
Wachstumsfaktoren (Zytokine) sind in den letzten Jahren intensiv erforscht und
in der Klinik getestet worden. Obwohl ihre Anwendung im wesentlichen
hämatologisch-onkologisch ausgebildeten Fachleuten vorbehalten bleibt, ist eine
kritische Beurteilung dieser Substanzen von allgemeinem Interesse.
Die
Wachstumsfaktoren G-CSF («granulocyte colony stimulating factor») und
GM-CSF («granulocyte-macrophage colony stimulating factor») werden zur
Reduktion von Dauer und Ausmass von Neutropenien verwendet. Empfohlen
wird ihre Verabreichung in erster Linie bei intensiver myelosuppressiver
Chemotherapie von nicht-myeloischen Malignomen sowie nach
Knochenmarkstransplantation bzw. Blutstammzell-Retransfusion.
Chemie/Pharmakologie
Die mit Hilfe rekombinanter
DNA-Technik hergestellten Wachstumsfaktoren (genauere Bezeichnung: rG-CSF und
rGM-CSF) können sich je nach Expressionssystem von den endogenen Glykoproteinen
geringfügig unterscheiden (siehe Tabelle 1).
G-CSF wirkt
zelllinienspezifisch auf die Proliferation und Differenzierung von
neutrophilen Vorläuferzellen zu neutrophilen Granulozyten. Die durch G-CSF
induzierte Neutrophilie ist durch eine Linksverschiebung charakterisiert.
In der Schweiz sind zwei G-CSF- Präparate erhältlich, nämlich Filgrastim
(Neupogen®, nicht-glykosyliert) und Lenograstim
(Granocyte®, Struktur mit dem humanen G-CSF identisch). Für G-CSF
konnte in vitro gezeigt werden, dass die glykosylierte Form (Lenograstim)
chemisch stabiler ist und eine höhere Potenz aufweist.1
Qualitative Unterschiede zwischen einer der beiden Formen scheinen
allerdings nicht zu bestehen.2Im
Gegensatz zu G-CSF moduliert GM-CSF, synergistisch mit anderen
Wachstumsfaktoren, alle Zelllinien mit Ausnahme der lymphozytären Reihe. Die
stärkste Wirkung ist dabei auf die Granulozyten-Makrophagen-Linie zu beobachten,
die Thrombozyten werden nur wenig beeinflusst. Ferner erhöht GM-CSF in der
Peripherie die Aktivität ausgereifter neutrophiler und eosinophiler Granulozyten
und Makrophagen.1, 3, 4 In der
Schweiz ist Molgramostim (Leucomax®) erhältlich, das in den USA
zugelassene Präparat heisst Sargramostim.
Wachstumsfaktor/Präparat | Expressionssystem | Unterschiede zu den endogenen Faktoren | |||||||
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Pharmakokinetik
Etwa 2 bis 8
Stunden nach subkutaner Injektion von G-CSF werden maximale
Plasmakonzentrationen beobachtet. Die Plasmahalbwertszeit von G-CSF beträgt
wenige Stunden. Wenn das Präparat während 2 bis 5 Tagen verabreicht worden ist,
nehmen die Plasmaspiegel oft schnell und kontinuierlich ab. Diese Abnahme wird
auf die Induktion unbekannter Clearance-Mechanismen durch eine Zunahme der
Neutrophilen im Blut zurückgeführt. Nach subkutaner Applikation von G-CSF
resultiert ein stärkerer Anstieg der Neutrophilen-Zahl als nach intravenöser
Gabe.1, 3
Maximale Plasmaspiegel nach subkutaner Gabe von GM-CSF sind innerhalb
von etwa 2 Stunden erreicht. Die Halbwertszeit beträgt 3 Stunden. Nach
intravenöser Gabe beträgt die Halbwertszeit nur 1,5 bis 2 Stunden.
Metabolismus und Ausscheidung von G-CSF und GM-CSF sind nicht
genau bekannnt.1, 3, 4
Klinische Studien
Bei Gesunden
beträgt die absolute Anzahl neutrophiler Granulozyten («Absolute Neutrophil
Count», ANC) im Blut durchschnittlich 1,5x109/L. Bei tieferen Werten
spricht man von einer Neutropenie, und ein ANC unter 0,5x109/L
wird auch als Agranulozytose bezeichnet. Am häufigsten werden Neutropenien
iatrogen durch zytotoxische Medikamente oder Bestrahlung verursacht.
Seltener sind Neutropenien idiopathisch oder beruhen auf
Erbkrankheiten oder auf idiosynkratischen Medikamentenwirkungen.
Das wichtigste Ziel der Verwendung eines Wachstumsfaktors ist die
Reduktion von Morbidität und Mortalität durch Neutropenie-bedingte
Infektionen. Die wesentlichen Fragestellungen in klinischen Studien
betreffen deshalb Ausmass und Dauer der Neutropenie, die Infektionsrate, die
Inzidenz von neutropenischem Fieber und die Mortalität. Beachtet werden muss,
dass Morbidität und Mortalität auch mittels antimikrobieller Substanzen
signifikant gesenkt werden. Da direkte Vergleiche zwischen G-CSF oder GM-CSF und
Antibiotika fehlen, sollte für die beiden Medikamente auch ein
zusätzlicher Nutzen bei einer Antibiotikaprophylaxe nachgewiesen werden.
Myelosuppressive Chemotherapien
G-CSF und GM-CSF können nach einer myelosuppressiven Chemotherapie
prophylaktisch oder therapeutisch verabreicht werden. Empfohlen
wird lediglich die Prophylaxe. Nach den Richtlinien der amerikanischen
Gesellschaft klinischer Onkologen können febrile Patienten in sehr schweren
Fällen aber auch therapeutisch mit einem der beiden Faktoren und Antibiotika
behandelt werden.5 Das
folgende sind einige Beispiele kontrollierter Phase-III-Studien:
Prophylaxe
In zwei Doppelblindstudien ist G-CSF (Filgrastim, 230
mg/m2/Tag) bei 211 und 130 Patienten mit
kleinzelligem Lungenkarzinom und intensiver Chemotherapie
(Cyclophosphamid, Doxorubicin, Etoposid) gegen Placebo getestet worden. Der
niedrigste Neutrophilen-Wert (Nadir) wurde unter G-CSF nicht früher erreicht als
unter Placebo; der mediane ANC war unter der aktiven Behandlung jedoch über alle
Zyklen signifikant grösser als unter Placebo. Schwere Neutropenien
(ANC<0,5x109) dauerten im ersten doppelblinden Behandlungszyklus
unter G-CSF 3 Tage, unter Placebo 6 Tage oder länger, ein signifikanter
Unterschied, der in den nachfolgenden Behandlungszyklen noch grösser war. An
neutropenischem Fieber erkrankten im ersten Zyklus unter G-CSF 20-28% der
Patienten und unter Placebo 41-57%, signifikant mehr.6, 7 In
einer anderen Doppelblindstudie erhielten 138 Patienten mit verschiedenen
(vorwiegend soliden) Tumoren und therapieinduzierter Neutropenie
G-CSF (Filgrastim, 5 mg/kg/Tag) oder Placebo.
Auch in dieser Studie dauerte die Neutropenie unter G-CSF (mediane Dauer: 2
Tage) nur halb so lange wie unter Placebo (4 Tage). Die Zahl der
Spitaleinweisungen, der Dauer der Spitalaufenthalte oder der parenteralen
Antibiotikatherapie sowie die Zahl nachgewiesener Infektionen wurden dagegen von
G-CSF nicht beeinflusst. 8 Bei
164 Kindern und Jugendlichen mit akuter lymphoblastischer Leukämie, die
in einer Doppelblindstudie G-CSF (Filgrastim, 10 mg/kg/Tag) oder Placebo erhielten, ergab die aktive
Behandlung eine signifikante Verkürzung des Spitalaufenthalts und eine Reduktion
nachgewiesener Infektionen, vermochte jedoch die Zahl der Spitaleinweisungen
wegen neutropenischem Fieber und die Überlebensrate nicht signifikant zu
beeinflussen. 9
In
einer multizentrischen Doppelblindstudie bei 120 Brustkrebspatientinnen
konnte die Dauer der Neutropenie in allen chemotherapeutischen Behandlungszyklen
durch G-CSF (Lenograstim, 5 mg/kg/Tag) von 5-8
Tage auf 2-4 Tage signifikant verkürzt werden. Die Prophylaxe mit G-CSF hatte
aber keinen Einfluss auf die klinisch dokumentierte Infektionsrate oder
-dauer, dafür waren mikrobiologisch erfasste Infektionen unter G-CSF weniger
häufig. Frauen, die G-CSF erhielten, benötigen ferner weniger Antibiotika und
konnten früher aus dem Spital entlassen werden.10
Therapie des neutropenischen Fiebers
In einer Doppelblindstudie
erhielten 216 Patienten mit verschiedenen Krebsarten (etwa zur Hälfte
Lymphome), die im Zusammenhang mit einer Neutropenie Fieber entwickelten, neben
der antibiotischen Behandlung G-CSF (Filgrastim, 12 mg/kg/Tag) oder Placebo. Die Neutropeniedauer konnte unter
G-CSF zwar leicht verkürzt werden (um 1 bis 2 Tage), aber das Fieber dauerte in
beiden Gruppen gleich lang.11
Letzte Änderung: 28.11.97
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